Recht-Testbed im Detail

Ein Forschungsprojekt, viele Facetten

Um automatisierte Geschäftsvorgänge im Detail zu analysieren und zu verstehen, fließen in die Erforschung und Entwicklung des interdisziplinären Experimentierfelds die komplementären Kompetenzen aller Mitwirkenden ein. Lernen Sie hier das Recht-Testbed aus unterschiedlichen Sichtweisen kennen:

Allgemeine Projektinformationen

Automatisierte Vertragsabschlüsse zwischen Maschinen sind eine wichtige Voraussetzung, um den Automatisierungsgrad in der Wirtschaft und damit die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens im Rahmen der Industrie 4.0 zu sichern und zu steigern. Dabei sind auf technischer Ebene die Kommunikation und Vertragsverhandlung zwischen Maschinen bereits möglich. Jedoch werfen die Vertragsabschlüsse und -durchführungen durch Maschinen komplexe rechtliche und IT-sicherheitstechnische Fragen auf, die für Unternehmen ein Hindernis darstellen. Solange diese Fragestellungen ungeklärt sind, besteht besonders bei KMU die Unsicherheit vor der Investition in die neuen intelligenten Systeme.

Aus diesem Grund fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz das anwendungsorientierte Forschungsprojekt »Industrie 4.0 Recht-Testbed«, dessen Ziele die Entwicklung einer digitalen Testumgebung für autonome Geschäftsabläufe in Industrie 4.0 -Wertschöpfungsnetzwerken und die Verfassung von Handlungsempfehlungen zu neuen rechtlichen Standards für die Politik und Unternehmen sind. Das Projekt leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Forschung, Entwicklung und Innovation digitaler Technologien in Deutschland. Basierend auf den Ergebnissen des Recht-Testbeds soll im Jahr 2022 eine Veröffentlichung zu Handlungsempfehlungen zu neuen rechtlichen Standards erfolgen. Darüber hinaus ist geplant, eine industrielle Pilotanwendung umzusetzen.

Das Pilotvorhaben »Industrie 4.0 Recht-Testbed« verfolgt die Aufgabe, die beschriebenen Probleme mithilfe des aktuellen Forschungsstands und Fortschritts zu lösen, sodass Geschäftsprozesse und Vertragsverhandlungen zwischen Maschinen auf ein rechtlich und IT-sicherheitstechnisch sicheres Fundament gestellt werden und auch KMU vermehrt Industrie 4.0 Komponenten in ihren Logistiksystemen implementieren. Dabei besteht das Konsortium des Forschungsprojekts aus vier Konsortialpartnern, die mit ihrer jeweiligen Expertise und Aufgabenbereichen zur Lösung der Herausforderungen beitragen. Das Konsortium besteht aus den folgenden vier Partnern: das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML, das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST, die Universität des Saarlandes mit dem Institut für Rechtsinformatik (IfR) sowie die Ruhr-Universität Bochum mit dem Horst Görtz Institut für IT-Sicherheit (HGI). Gemeinsames Ziel ist die systematische Nutzung der Digitalisierungspotenziale am Wirtschaftsstandort Deutschland mithilfe des Einsatzes von unter anderem Softwareagenten, Blockchain-Technologien, und weiteren Industrie 4.0 Komponenten, um automatisierte Geschäftsprozesse und Vertragsverhandlungen auf ein rechtssicheres Fundament zu stellen.

Weitere Informationen über das Konsortium des Forschungsprojekts sowie über die Aufgabenbereiche der einzelnen Konsortialpartner im Projekt finden Sie hier.

Eigenschaften und Features des Recht-Testbeds

Das Pilotvorhaben »Industrie 4.0 Recht-Testbed« stellt ein digitales Experimentierfeld dar, dessen Forschungsschwerpunkt bei der Untersuchung von autonomen und automatisierten Geschäftsprozessen und -verhandlungen liegt. Dabei beinhaltet es verschiedene Eigenschaften und Features, die zur Erforschung der unterschiedlichen Themenkomplexe dienen. Als interdisziplinäres Forschungs- und Entwicklungsprojekt gewährleistet es eine sichere Umgebung zum und beim Testen von autonomen Geschäftsmodellen.

Logistische Szenarien

Damit das Recht-Testbed an greifbaren Anwendungsfällen erprobt werden kann und realitätsnahe Ergebnisse erzielt, werden zwei verschiedene logistische Anwendungsfälle konzipiert. Dabei handelt es sich um konkrete Beispiele für relevante Geschäftsvorfälle, an denen bei der Forschung angesetzt werden kann. Der Use Case Transport behandelt den Transport von Waren innerhalb der EU und untersucht, analysiert sowie bewertet die digitale und automatisierte Verhandlung und Ausführung eines Frachtvertrages. Im Use Case Produktion finden automatische Vertragsverhandlungen zwischen einem Kunden und Lieferanten statt, wobei auch hier alle Parteien softwareseitig durch autonom handelnde Softwareagenten vertreten werden.

Technologien

Im Experimentierfeld des Recht-Testbeds werden diverse Technologien verwendet, die eine Realisierung automatisierter Geschäftsprozesse ermöglichen und die unternehmensseitig beherrscht werden müssen. Dabei liegt der Fokus auf Softwareagenten, die stellvertretend für die Unternehmen Vertragsparameter untereinander autonom aushandeln, unterschiedlichen Blockchain-Technologien, da diese einen sicheren Datenspeicher für Verträge gewähren, sowie Smart Contracts, die eine automatisierte Vertragserfüllung sichern und die vereinbarten Schritte ausführen.

Vorgehensweise

Die angestrebte Vorgehensweise in den Experimenten des Recht-Testbeds unterliegt folgendem Ablauf: Zunächst wird das Szenario konfiguriert, wobei der Anwendungsfall, die Verhandlungsstrategie, Ziele der Verhandlungspartner sowie die notwendigen Voraussetzungen (z.B. Budget, verfügbare Ressourcen etc.) festgelegt werden. Im Anschluss wird eine Simulation durchgeführt, in der die Verhandlung, der Vertragsschluss sowie die Vertragsdurchführung nachgebildet und durchlaufen werden. Um die erzielten Ergebnisse zu dokumentieren, werden Berichte erstellt, in denen das Verhandlungsergebnis festgehalten wird und näher auf die fallspezifische Rechtssicherheit sowie IT-Sicherheit eingegangen wird.

Rechtssicherheit

Rechtssicherheit ist ein wesentliches Prinzip unserer Rechtsordnung. Es ist Teil der in Deutschland verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsstaatlichkeit und lässt sich in seinen theoretischen Grundlagen bis in die Antike zurückverfolgen. Das Prinzip der Rechtssicherheit umfasst im Wesentlichen den Schutz des Vertrauens in die Beständigkeit der Rechtsordnung und der in ihr begründeten Rechte und rechtlich geschützten Interessen. Im zivilrechtlichen Rechts- und Wirtschaftsverkehr soll jedes Rechtssubjekt in seiner Erwartung an die Kontinuität der Rechte und berechtigten Interessen geschützt sein und ausgehend von diesem Vertrauen sein Verhalten planen und gestalten und seine Rechtsbeziehungen aufbauen und führen können. Für das Vertragsrecht folgt daraus der Grundsatz, dass einzuhalten und zu erfüllen ist, was vereinbart wurde. Der dem römischen Recht entstammende Grundsatz „Pacta sunt servanda“ kumuliert die Verpflichtung vertraglich miteinander verbundener Parteien zur Vertragstreue.

Das Funktionieren unseres Wirtschaftssystems setzt die auf Vertrauen basierende rechtsgeschäftliche Interaktion der beteiligten Akteure voraus. Das Vertrauen gründet sich auf die Erwartungssicherheit, dass vertraglich begründete Pflichten der Parteien eingehalten und erfüllt werden und im Falle ihrer Nichterfüllung gerichtlich geltend gemacht und durchgesetzt werden können.

Neue technologische Entwicklungen wie beispielsweise das Internet of Things und Blockchain-Technologien und die von ihnen ausgelösten Megatrends der Industrie 4.0 führen in einer globalisiert vernetzten Weltwirtschaft zu einem enormen Transformationsdruck, die sich aus der technischen Entwicklung ergebenden Potentiale zu nutzen. Mittels Automatisierung und der einhergehenden Standardisierung, Schnelligkeit und gesteigerten Effizienz soll die Wettbewerbsfähigkeit aufrechterhalten und ausgebaut werden.

Die technologiegetriebene digitale Transformation der Wirtschaftsnetzwerke und Wertschöpfungsketten wirft mannigfaltige rechtliche Fragen auf. Mangels Erprobung in der Praxis fehlen bislang weitestgehend Erfahrungswerte. Zudem kann bislang nicht auf spezifische Grundsatzentscheidungen der Gerichte zurückgegriffen werden. Um den Einsatz von Computerprogrammen für automatisierte Vertragsverhandlungen, die Nutzung von Blockchain-Technologien für den Nachweis des Vertragsschlusses und die automatisierte Erfüllung vertraglicher Leistungspflichten auf einen gesicherten Rechtsrahmen zu stützen, verwirklicht das »Industrie 4.0 Recht-Testbed« gemäß der Strategie und Forschungsagenda des Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) eine juristische und technische Testumgebung für Geschäftsvorfälle der Industrie 4.0. Die im Recht-Testbed entwickelte und öffentlich zugängliche Infrastruktur bietet juristisch und technisch valide Funktionalitäten, die es insbesondere auch kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) ermöglicht, Geschäftsvorfälle in Wertschöpfungsnetzwerken der Industrie 4.0 zu testen und den rechtssicheren Einsatz in ihren produktiven Geschäftsprozessen anzugehen.

Anhand zweier Use-Cases „Transport“ und „Produktion“ können im Recht-Testbed Vertragsverhandlungen mittels Computerprogrammen als sog. Verhandlungsagenten geführt werden. Diese werden für die Nutzer des Recht-Testbeds (teil-)autonom tätig und repräsentieren die Nutzer beim Vertragsschluss. Die Infrastruktur des Recht-Testbeds ermöglicht dabei juristisch valide Verhandlungen und den rechtswirksamen Abschluss des Vertrages. Vertrauen bei Vertragsverhandlungen in klassisch geführten Rechtsbeziehungen basiert u.a. auf dem persönlich gebildeten Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Rechtstreue des Vertragspartners und ggf. zusätzlichen Absicherungen durch Personalsicherheiten oder dinglichen Sicherheiten, wie Bürgschaften, Grundschulden oder Hypotheken. In Geschäftsvorfällen der Industrie 4.0 stützen die Parteien bei automatisierten Verhandlungen und Abschlüsse von Verträgen Vertrauen auf die ganzheitlich konzipierten technischen Verfahren. Das Recht-Testbed bietet hier den Rahmen für den Einsatz von Computerprogrammen und hilft unter Minimierung rechtlicher Risken mittels wirksamer und nachweisbarer Maschinenerklärungen vollwertige Verträge automatisiert zu schließen und zur Ausführung zu bringen.

Der Einsatz von Blockchain-Technologie stellt ein wesentliches Element der rechtssicheren Dokumentation von Vertragsschlüssen und automatisierten Ausführung von Leistungspflichten dar. Eine Blockchain ermöglicht als dezentralisierter, verteilter, kooperativ genutzter Datenspeicher den sicheren Datenaustausch zwischen Knoten von Peer-to-Peer-Netzwerken. Diese Eigenschaften nutzt das Recht-Testbed zur manipulationssicheren Speicherung des Vertragsschlusses und der im Rahmen der Vertragserfüllung vorgenommen Erfüllungshandlungen. Um die Verbindlichkeit und im Streitfall gerichtliche Verwertbarkeit der in der Blockchain gespeicherten Informationen zu gewährleisten, werden im Recht-Testbed die funktionalen und kryptografischen Anforderungen an den IT-sicheren Einsatz dieser Technologie definiert. Der Einsatz von Computerprogrammen, die als sog. Smart Contracts festgelegte Erfüllungshandlungen automatisiert zur Ausführung bringen, wird im Recht-Testbed in einer Weise implementiert, die den Nutzern als Vertragsparteien einen Zugewinn an Rechtssicherheit bietet. Hier wird die Grundlage geschaffen, dass die Akteure des Industrie 4.0 mit ausgearbeiteten Vertrauensprofilen ihre Rechts- und Wirtschaftsbeziehungen auf- und ausbauen und dabei die benötigten automatisierten Geschäftsprozesse unter Minimierung der rechtlichen Risiken sowie der Rechtskosten implementieren. In einem öffentlichen Repository stellt das Recht-Testbed Musterverträge und Musterklauseln, sowie Checklisten und Leitfäden zur Verfügung. Sämtliche Instanzen unseres Rechts- und Wirtschaftssystems erhalten durch das Recht-Testbed eine gesicherte Grundlage für die Einführung und Nutzung der für die Wertschöpfung in Industrie 4.0 Kooperationsnetzwerken relevanten Technologien unter Berücksichtigung der rechtlichen Anforderungen von Compliance mit Geheimhaltung, Datenschutz und IT-Sicherheit.

IT-Sicherheit

Im Projekt »Industrie 4.0 Recht-Testbed« untersucht die Ruhr-Universität Bochum Sicherheitsaspekte bei Vertragsschluss und -durchführung durch Maschinen. Dies wird gewährleistet durch:

  • Sichere Anwendung von privaten und konsortialen Blockchains
  • Smart Contracts
  • Technische Nachweisbarkeit und technischer Datenschutz
  • Sichere Schnittstellen für den Einsatz von Blockchain in der Industrie 4.0

Sichere Anwendung von privaten Blockchains

Neben den bekannten und gut untersuchten öffentlichen (permissonless) Blockchains gibt es noch verschiedene Implementierungen von sogenannten privaten (permissioned) Blockchains, bei denen nur ein ausgewählter Nutzerkreis Zugriff auf die Blockchain hat. Wenn mehrere Teilnehmer, Unternehmen oder Organisationen an diesen Blockchains partizipieren wird auch von einer konsortialen Blockchain gesprochen. Diese relativ jungen Implementierungen sind bisher noch nicht aus Forschungssicht hinreichend untersucht worden. Teil dieses Projektes ist es daher festzustellen, wie geeignet diese verschiedenen Implementierungen aus Sicherheitssicht für das Recht-Testbed sind.

Smart Contracts

Für den Nachweis des Vertragsschlusses und die Durchführung eines Vertrags auf einer privaten Blockchain werden Smart Contracts im Recht-Testbed eingesetzt, welche Teile von rechtsgültigen Verträgen digital repräsentieren und umsetzen sollen. Bei der Ausführung der Smart Contracts ist daher sicherzustellen, dass nur die berechtigten Parteien (Vertragsparteien) diese ausführen können, und dass der aktuelle Vertragszustand über ein Konsensverfahren abgesichert ist. Innerhalb des Projekts werden aktuell eingesetzte Verfahren zur Konsensbildung in privaten Blockchain Lösungen untersucht.

Technische Nachweisbarkeit und technischer Datenschutz

Nachweise über die Aktivitäten der einzelnen Vertragsparteien und involvierter Dritter werden im Recht-Testbed gespeichert, damit diese in einem Streitfall für gerichtliche und außergerichtliche Verhandlungen in unverfälschter Weise vorliegen. Dazu untersucht die Ruhr-Universität Bochum, welche technischen Maßnahmen notwendig sind, um die Nachweisbarkeit und den Datenschutz zu gewährleisten. Dazu werden die kryptografischen Sicherungsmechanismen der Blockchain-Implementierungen und die einzelnen Smart Contracts für den Vertragsschluss und -durchführung analysiert, sodass die im Recht-Testbed geschlossenen Verträge technisch unanfechtbar sind und die Nachweisbarkeit gewährleistet werden kann.

Sichere Schnittstellen für den Einsatz von Blockchain in der Industrie 4.0

Die Testumgebung des Recht-Testbeds ist für Unternehmen ein wichtiges Instrument, um die automatische Vertragsverhandlung, den Vertragsschluss und die Vertragsdurchführung kennenzulernen. Deshalb kümmert sich die Ruhr-Universität Bochum schon während der Entwicklung um die Absicherung der externen und internen Schnittstellen und nimmt eine Risikobetrachtung der Gesamtarchitektur vor. Dafür entwickelt die Ruhr-Universität unter anderem auch Tools, um die eingesetzten Schnittstellen automatisch auf Schwachstellen zu untersuchen.

Werden Sie ein Teil des Recht-Testbeds

Das Recht-Testbed sorgt durch die Beleuchtung von Rechtsfragen sowie der Nutzung neuartiger Technologien für eine Verringerung der Risiken bei autonomen Vertragsverhandlungen und erleichtert damit vor allem kleinen und mittelständischen Unternehmen den Einsatz von Industrie 4.0-Technologien.

Soll auch Ihr Unternehmen von den zahlreichen Möglichkeiten und Chancen, die sich durch die Mitarbeit im Projekt ergeben, profitieren? Dann kontaktieren Sie uns!

Projektmanagementbüro »Industrie 4.0 Recht-Testbed«rtb-pmo@fraunhofer.de
+49 (0) 231 / 9743- 214

Wir freuen uns auf eine Zusammenarbeit mit Ihnen!

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